Unfallforschung: Warum E-Autos häufiger in Unfälle verwickelt sind
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Die Elektromobilität boomt. Doch Elektroautos verursachen mehr Kollisionen als herkömmliche Verbrenner, insbesondere die leistungsstarken, so die AXA-Versicherung in einer aktuellen Mitteilung. Wieso das so ist und welche Folgen das für die Sicherheit auf den Straßen hat, zeigen die AXA Unfallforscher aus der Schweiz an den diesjährigen Crashtests.
Ein Blick in die Statistik der AXA zeigt, dass Lenkerinnen und Lenker von Elektroautos 50 Prozent mehr Kollisionen mit Schäden am eigenen Fahrzeug verursachen als jene von herkömmlichen Verbrennern. Fahrerinnen und Fahrer von leistungsstarken Elektroautos verursachen sogar mehr als doppelt so viele Eigenschäden durch Kollisionen als jene von Standardverbrennern. „Je leistungsfähiger das Fahrzeug ist, desto öfter verursachen die Lenkerinnen und Lenker einen Schaden am eigenen oder an Fremdfahrzeugen“, erklärt Michael Pfäffli, Leiter Unfallforschung und Prävention bei AXA. Konkret seien es bei leistungsstarken Modellen 30 Prozent mehr Schäden an Dritten, sogenannte Haftpflichtschäden.
Der Grund dafür dürfte nicht zuletzt mit den leistungsfähigen Lithium-Ionen-Batterien von Elektroautos zusammenhängen: „Die Batterie ist das Herzstück von Elektroautos. Sie beeinflusst nicht nur die Leistungsfähigkeit und damit das Fahrverhalten der Fahrzeuge, sondern auch deren Gewicht und Konstruktion. Zudem hat der Akku einen entscheidenden Einfluss auf Rettungs- und Bergungsarbeiten“, so Pfäffli weiter. Gemäß einer Mobilitätsstudie der AXA vermuten immerhin 60 Prozent der Befragten, dass das Risiko für einen Unfall bei einem Elektroauto höher sei als bei einem Verbrenner. Insgesamt seien die Kenntnisse zu Elektroautos im Allgemeinen jedoch eher gering. „An den diesjährigen Crashtests wollen wir den Risiken der Elektromobilität deshalb auf den Grund gehen“, so der Unfallforscher.
Den Overtapping-Effekt nicht unterschätzen
Besonders die leistungsstarken Elektroautos unterscheiden sich im Fahrverhalten deutlich von Verbrennern. Mehr als 50 Prozent der Elektroautofahrerinnen und -fahrer mussten ihr Fahrverhalten gemäß der AXA Studie zu Beginn anpassen, überraschenderweise vor allem das Bremsverhalten. „Unsere Analysen zeigen jedoch, dass die größten Risiken nicht beim Verringern der Geschwindigkeit, sondern beim Beschleunigen bestehen“, so der Unfallforscher. Viele unterschätzen offenbar den sogenannten Overtapping-Effekt, vermutet er: „Die meisten Elektroautos, insbesondere die leistungsstarken, haben ein sehr hohes Drehmoment, welches sich beim Antippen des Strompedals unmittelbar bemerkbar macht. Es kann daher zu einer ungewollten, ruckartigen Beschleunigung kommen, welche der Fahrer oder die Fahrerin nicht mehr kontrollieren kann.“ Dieser Effekt dürfte auch die Ursache für die erhöhte Schadenfrequenz bei leistungsstarken Elektroautos sein.
Damit beschäftigt sich der erste Crash, bei dem ein Teslafahrer vermeintlich nur kurz auf das Strompedal drückt und durch die starke Beschleunigung die Kontrolle über das Fahrzeug verliert. Er fährt mit überhöhter Geschwindigkeit auf einen Kreisel zu, kann nicht mehr bremsen und überfährt diesen mittig. Das Auto überschlägt sich und es kommt aufgrund des unebenen Untergrundes zu einer starken Beschädigung des Unterbodens. Beim Überschlag bleibt die Fahrgastzelle intakt, die Insassen haben dank wirkungsvollen Sicherheitssystemen wie Gurtstraffer oder Airbags im Normalfall mit keinen oder nur leichten Verletzungen zu rechnen.
Der Unterboden als Achillesferse
Der Crash offenbart ein weiteres kritisches Element von Elektroautos: den Unterboden. Untersuchungen der AXA Unfallforscher aus der Schweiz haben gezeigt, dass Unterbodenbeschädigungen durch das Überfahren von Straßeninseln, Steinen oder eben Kreiseln auftreten können. Die Antriebsbatterie ist zwar durch zusätzliche Versteifungen der Karosserie vorne, hinten und seitlich sehr gut geschützt, weise aber eine Schwachstelle auf: „Der Unterboden scheint die Achillesferse von Elektroautos zu sein, weil die Batterie dort nicht zusätzlich geschützt ist. Dessen sollten sich Autofahrer und Autofahrerinnen bewusst sein“, gibt Pfäffli zu bedenken.
Die Hersteller seien aufgerufen, die „Gefahr von unten“ nicht zu unterschätzen und einen adäquaten Schutz sicherzustellen, beispielsweise indem der Unterboden mit einer Titanplatte oder ähnlichen Materialien mit hoher Widerstandsfähigkeit versehen wird. Die AXA Unfallforscher empfehlen zudem, dass bei Euro NCAP ein zusätzliches Crash-Test-Szenario zur Überprüfung der Stabilität von unten eingeführt wird.
Wird die Batterie wie im oben beschriebenen Unfall tatsächlich beschädigt, könnte ein Brand die Folge sein. Allerdings: Das Brandrisiko bei Autos, unabhängig davon, ob sie benzin- oder strombetrieben sind, ist sehr gering und wird in der Schweizer Bevölkerung stark überschätzt. Nur 5 von 10.000 Autos fallen statistisch gesehen einem Brand zum Opfer, ein Marderschaden kommt 38-mal häufiger vor als ein Autobrand. Dies werde sich auch mit der zunehmenden Verbreitung von Stromern nicht ändern, obschon das Brandrisiko bei einem Elektroauto gemäß einer Mobilitätsstudie der AXA größer eingeschätzt wird als bei einem Verbrenner. Ein Vorurteil.
Denn der Blick in die AXA Statistik und einige weitere Auswertungen zeigt, dass Elektroautos nicht häufiger brennen als Verbrenner, das Brandrisiko von E-Autos ist sogar etwas geringer. „Wenn es doch zum Brand kommt, wird es aufgrund des sogenannten Thermal Runaway, also dem Durchbrennen der Akkuzellen, allerdings heikel“, so Michael Pfäffli. Bis heute gäbe es keine befriedigende Lösung, Brände von Elektrofahrzeugen sicher, schnell, umweltschonend und kostengünstig zu löschen. Aus Sicht der Brandbekämpfung sei es wichtig, dass Einsatzkräfte möglichst schnell und direkt zum Innern der Batterie gelangen könnten, ergänzt der Unfallforscher.
Antriebsbatterien lassen Fahrzeuge schwerer werden
Elektroautos haben nicht nur ein anderes Beschleunigungsverhalten, auch ihre Konstruktion und das Gewicht unterscheiden sich von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Autos werden generell immer schwerer, dies zeigt auch ein Blick auf den Fahrzeugbestand der AXA: Dort liegt das durchschnittliche Gewicht von Autos mit Jahrgang 2020 bei 1680 Kilogramm. Verglichen mit Autos mit Jahrgang 2000 (1340 Kilogramm) sind neuere Autos somit rund 25 Prozent schwerer.
Die Elektromobilität verleihe diesem Trend zusätzlich Schub, sagt Pfäffli: „Wir gehen davon aus, dass das durchschnittliche Gewicht eines Neufahrzeuges aufgrund des Batteriebetriebes in wenigen Jahren bei zwei Tonnen liegen wird.“
Mit dem Gewicht beziehungsweise dem Gewichtsunterschied zwischen Fahrzeugen befasst sich der zweite Crash. Ein Golf VII mit Verbrennungsmotor und ein typengleiches Modell mit Elektroantrieb prallen mit einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern frontal aufeinander. Der Elektro-Golf hat genau dieselben Abmessungen, ist mit zusätzlichen 400 Kilogramm allerdings um einiges schwerer, was auf die Batterie sowie die höhere Steifigkeit des Elektroautos zurückzuführen ist.
AXA
Der 1250 Kilogramm schwere Verbrenner-Golf ist bei diesem Crash einer deutlich höheren Belastung ausgesetzt und erleidet folglich einen sichtbar größeren Blechschaden als sein elektrisches Pendant. „Bei einem Crash ist der Gewichtsunterschied zwischen den involvierten Fahrzeugen entscheidend. Das leichtere Fahrzeug ist dabei im Nachteil, weil die Energiebelastung größer ist als beim schweren Fahrzeug“, erläutert der Unfallforscher. Die AXA Statistik bestätigt dies: Ein sehr schwerer Personenwagen (über 2000 Kilogramm) verursacht im Durchschnitt 10 Prozent höhere Sachschadenaufwände als ein leichtes Fahrzeug (unter 1000 Kilogramm).
Anders sieht es bei Personenschäden aus: Die wirkungsvollen Sicherheitssysteme von modernen Fahrzeugen können die Effekte der Massendifferenz in den meisten Fällen kompensieren. Im gezeigten Crash bleiben die beiden Fahrgastzellen deshalb intakt. Die Insassen beider Fahrzeuge seien somit gut geschützt und müssen normalerweise mit keinen Verletzungen rechnen. Problematisch für die Insassen werde es jedoch bei älteren Modellen, unabhängig vom Gewicht. Bei diesen fehlen die Sicherheitssysteme gänzlich. Michael Pfäffli: „Je älter die Fahrzeuge, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Personenschadens.“ Konkret ist das Risiko eines Personenschadens bei einem Fahrzeug älter als zehn Jahre um 20 Prozent höher als bei einem modernen Auto.
Bergung und Rettung nicht gefährlicher als bei Verbrenner-Autos
Insassen eines Elektroautos sind also grundsätzlich gut geschützt. Bei einem Crash, in dem ein Elektroauto involviert ist, kommt jedoch schnell die Befürchtung auf, dass die Bergung der Insassen für die Retterinnen und Retter gefährlich sein könnte. Gemäß der AXA-Mobilitätsstudie glauben 33 Prozent der Befragten, dass die Bergung einer verletzten Person aus einem E-Auto gefährlicher ist als bei einem Auto mit Verbrennungsmotor.
„Diese Angst ist unbegründet, weil kaum Gefahr besteht, dass noch Spannung auf dem Fahrzeug liegt“, erklärt Pfäffli. Bei einem Unfall wird die Batterie innerhalb von Millisekunden automatisch von anderen Hochvoltkomponenten und -kabeln abgekoppelt. Der Stromkreis ist somit unterbrochen und eine Personen-Rettung auch bei einem Unfall mit Elektroautos gefahrlos möglich – und wie bei allen Fahrzeugen oder Unfällen verpflichtend.
Tipps der AXA Unfallforscher
Lenkerinnen und Lenker von Elektroautos sollten sich der unbeabsichtigt schnellen Beschleunigung (dem sogenannten Overtapping-Effekt) bewusst sein. Der Umgang mit dieser unmittelbaren Kraft sollte gelernt sein. Wenn möglich sollten Lenkerinnen und Lenker die Stärke der Beschleunigung manuell herunterstufen, um einen größeren Widerstand beim Antippen des Strompedals zu erreichen.
Lenkerinnen und Lenker von Elektroautos sollten ein besonderes Auge auf den Unterboden werfen. Das Befahren von zum Beispiel Straßeninseln, Steinen oder Kreiseln sollte wenn möglich vermieden werden, um eine Beschädigung des Unterbodens zu verhindern.
Lenkerinnen und Lenker eines schweren Fahrzeugs verfügen tendenziell über eine höhere Eigensicherheit. Gerade deshalb sollten sie sich der Verantwortung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmenden bewusst sein: Leichtere Fahrzeuge sind im Falle eines Crashs benachteiligt.
Erste Hilfe zu leisten ist Pflicht, auch bei Unfällen mit Elektroautos. Befürchtungen, bei der Personenrettung einen Stromschlag zu erleiden, sind in den meisten Fällen unbegründet.
Quelle: AXA – Pressemitteilung vom 25.08.2022
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