Europas Lithium-Pläne stoßen in Serbien auf Skepsis
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Wer über Elektromobilität spricht, kommt an Lithium nicht vorbei. Das leichte Metall ist ein zentraler Bestandteil moderner Batterien und damit essenziell für elektrische Antriebe. Ohne Lithium kein Stromspeicher – und ohne Speicher keine E-Autos. Angesichts weltweit wachsender Produktionszahlen, geopolitischer Spannungen und fragiler Lieferketten rückt nun auch Europa stärker in den Blick. Studien zeigen: Die erwartete Nachfrage übersteigt bei Weitem die geplante Eigenproduktion – eine Lücke droht.
Während Länder wie Chile oder Australien längst zu den festen Größen im globalen Lithiumgeschäft zählen, beginnt Europa erst allmählich, eigene Vorkommen zu erschließen. Im Fokus steht dabei unter anderem Serbien – nicht als Heilsbringer, aber als potenzieller Baustein für eine stärkere europäische Rohstoffbasis. Denn es geht um mehr als Versorgungssicherheit: Es geht um strategische Unabhängigkeit in einer Zeit zunehmender globaler Unsicherheiten. Lithium aus Serbien könnte dabei eine Rolle spielen – als Teil einer diversifizierten europäischen Lösung.
Lithium aus Serbien: Strategisches Projekt mit geopolitischer Dimension
Vor dem Hintergrund wachsender globaler Abhängigkeiten und geopolitischer Spannungen hat die Europäische Union das Lithiumprojekt im serbischen Jadar-Tal im Frühjahr 2024 offiziell als „Projekt von gemeinsamem Interesse“ eingestuft. Diese Kategorie ist nicht nur ein technischer Begriff aus dem EU-Infrastrukturrecht – sie markiert eine politische Weichenstellung. Projekte mit diesem Status können europaweit priorisiert, zügiger genehmigt und unter bestimmten Voraussetzungen auch finanziell gefördert werden. Im Kern geht es darum, strategisch wichtige Vorhaben schneller umzusetzen – besonders dann, wenn sie zur wirtschaftlichen Resilienz der EU beitragen.
Und genau das ist beim Thema Lithium der Fall. Ohne eigene Rohstoffquellen bleibt Europa abhängig – vor allem von China, das große Teile der globalen Lithiumverarbeitung dominiert. Umso wichtiger sind Alternativen im eigenen geopolitischen Einflussbereich. Serbien, geografisch an der Schwelle zur Europäischen Union gelegen, bietet dafür vermeintlich ideale Voraussetzungen: große Lagerstätten, politische Gesprächsbereitschaft und – trotz aller Herausforderungen – ein grundsätzliches Interesse am wirtschaftlichen Schulterschluss mit Brüssel.
Gleichzeitig ist die Situation komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Serbien ist kein EU-Mitglied und agiert in vielen Fragen eigenständig. Der Status als Kandidatenland bringt zwar formelle Nähe mit sich, doch in der Praxis treffen unterschiedliche Erwartungen aufeinander. Während die EU auf Versorgungssicherheit und geostrategische Diversifizierung setzt, geht es der serbischen Regierung auch um Investitionen, Arbeitsplätze – und innenpolitische Stabilität. Dass mit Rio Tinto ein australisch-britischer Konzern das Projekt umsetzen soll, verstärkt die internationale Dimension zusätzlich.
Das Vorkommen im Jadar-Tal gilt als eines der größten unerschlossenen Lithiumlager Europas. Der Rohstoff liegt in Form des seltenen Minerals Jadarit vor, das in dieser Kombination bislang weltweit nur hier entdeckt wurde. Sollte der Abbau gelingen, könnte das Projekt einen spürbaren Beitrag zur künftigen Rohstoffversorgung der europäischen Batterieindustrie leisten. Doch ob es dazu kommt, hängt nicht nur von technischen Fragen ab. Es ist ein Vorhaben im Spannungsfeld zwischen geopolitischen Interessen, nationalen Agenden und lokalen Realitäten – und genau dort beginnt die eigentliche Herausforderung.
Widerstand vor Ort: Zwischen Hoffnung und Vertrauensverlust
Während die EU das Jadar-Projekt als Teil ihrer Rohstoffstrategie forciert, ist die Situation vor Ort seit Jahren angespannt. Der ursprüngliche Plan von Rio Tinto, rund 2,4 Millionen Tonnen Lithiumkarbonat über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten aus dem Boden zu holen, stieß auf massiven Protest in der serbischen Bevölkerung. Allein im Jahr 2021 gingen Zehntausende Menschen in Belgrad, Loznica und anderen Städten auf die Straße. Sie blockierten Straßen, forderten ein Moratorium und protestierten gegen eine Politik, die – so der Vorwurf – internationale Interessen über lokale Bedürfnisse stelle.
Zentrale Kritikpunkte waren der drohende Verlust fruchtbaren Ackerlands, die Belastung von Wasser- und Luftqualität sowie der insgesamt geringe Informationsfluss. In einer Region, die stark landwirtschaftlich geprägt ist und in der viele Menschen von kleinen Familienbetrieben leben, schlugen die Pläne von Rio Tinto tiefe Wunden. Nicht zuletzt, weil frühe Umweltverträglichkeitsprüfungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen als lückenhaft bewertet wurden.
Hinzu kommt ein Vertrauensproblem, das weit über das konkrete Projekt hinausreicht. Viele Gegner des Projekts zweifeln daran, dass ein globaler Bergbaukonzern wie Rio Tinto die nötige Sensibilität für lokale Interessen mitbringt – insbesondere in einem Land, dessen Institutionen aus Sicht vieler nicht ausreichend unabhängig agieren. Der Konzern wiederum betont, man habe in die Kommunikation investiert, Transparenz geschaffen und neue Umweltauflagen in das Projekt integriert.
Die Proteste zeigten Wirkung: Anfang 2022 stoppte die serbische Regierung das Vorhaben offiziell – zumindest vorläufig. Präsident Aleksandar Vučić verwies auf die aufgeheizte Stimmung und kündigte an, das Projekt sei „beerdigt“. Doch im Hintergrund blieb die Option einer Wiederaufnahme bestehen. Und spätestens mit dem neuen EU-Status als strategisches Projekt ist klar: Das Thema ist zurück auf der politischen Agenda – national wie europäisch.
Für viele Menschen vor Ort ist damit ein Dilemma verbunden. Denn das Projekt verspricht auch Investitionen, Arbeitsplätze und Infrastruktur in einer strukturschwachen Region. Zwischen wirtschaftlicher Hoffnung und dem Wunsch nach intakter Umwelt bleibt die Debatte offen – und explosiv.
Zwischen Neuverhandlungen und neuer Unsicherheit
Seit der offiziellen Einstufung durch die EU Anfang 2024 verdichten sich die Anzeichen, dass das Projekt im Jadar-Tal wieder Fahrt aufnimmt. Die serbische Regierung hat erklärt, man wolle den Dialog mit der Bevölkerung suchen und Umweltauflagen neu bewerten. Auch Rio Tinto zeigt sich offen für Anpassungen – etwa bei der Planung von Infrastruktur oder der langfristigen Wasserversorgung. Doch viele Menschen vor Ort bleiben skeptisch. Die Erinnerung an die erste Phase des Projekts sitzt tief, ebenso wie das Gefühl, damals nicht gehört worden zu sein.
Parallel formiert sich erneut Widerstand. Umweltorganisationen, lokale Initiativen und einzelne Kommunalpolitiker fordern, dass es ohne eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung und transparente Beteiligungsverfahren keinen Neustart geben dürfe. Dabei geht es nicht nur um ökologische Fragen, sondern auch um Grundsatzthemen: Wer entscheidet über die Nutzung von Boden, Wasser und natürlichen Ressourcen? Und welche Mitsprache haben jene, die direkt betroffen sind?
Rio Tinto wiederum verweist auf den wachsenden Bedarf an Lithium in Europa und den Beitrag, den das Jadar-Projekt zur Versorgungssicherheit leisten könne. Das Unternehmen spricht von rund 2500 direkten und indirekten Arbeitsplätzen sowie von langfristigen Investitionen in Höhe von über zwei Milliarden Euro. Doch selbst wenn diese Zahlen stimmen: Ob das genügt, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, bleibt offen.
Die Debatte in Serbien zeigt exemplarisch, wie anspruchsvoll die Rohstoffwende in Europa werden dürfte. Es reicht nicht, Projekte zu beschleunigen oder auf strategische Prioritäten zu verweisen. Nachhaltigkeit, Akzeptanz und gesellschaftlicher Rückhalt sind keine Randbedingungen – sie sind Voraussetzung. Und das gilt nicht nur für Serbien, sondern für jeden Ort, an dem Europa künftig Lithium abbauen will.
Quelle: DerStandard – EU erklärt serbische Lithium-Mine zum strategischen Projekt / Zeit Online – Ein Schatz für die deutsche Autoindustrie
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