
Wie Alpine in seiner Manufaktur in Dieppe Autos baut
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Im Rahmen der Weltpremiere der Alpine A390 hatten wir die Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen der Alpine-Manufaktur im nordfranzösischen Dieppe zu werfen. Dieser traditionsreiche Standort, an dem Alpine seit mehr als fünf Jahrzehnten Autos fertigt, wird derzeit einem starken Wandel unterzogen: Mit der Einführung der A390 beginnt dort nicht nur ein neues Kapitel für die Marke, sondern auch eine tiefgreifende Transformation der Produktion selbst.
Im Zeitalter vollautomatisierter Mega-Fabriken wirkt das Werk in Dieppe auf den ersten Blick beinahe aus der Zeit gefallen. Der Standort ist klein – laut Renault der mit Abstand flächenmäßig kompakteste unter den Pkw-Werken des Konzerns – aber dennoch hocheffizient, flexibel und zukunftsfähig.
Aber zunächst mal zurück an den Anfang: Die Alpine-Manufaktur in Dieppe wurde 1969 gegründet und ist eng mit dem Namen Jean Rédélé verbunden, dem visionären Gründer der Marke Alpine. Heute arbeiten 377 festangestellte Mitarbeitende in der Fabrik, ergänzt durch 120 temporäre Arbeitskräfte, die derzeit bei den Vorbereitungen für den Produktionsstart der A390 unterstützen.
Die Belegschaft ist mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren erfahren, aber keineswegs träge, kontinuierliche Schulungen und 10.000 Trainingsstunden allein in den letzten drei Jahren zeugen von einem starken Weiterentwicklungswillen. Der Frauenanteil liegt aktuell bei 22 Prozent – ein respektabler Wert in einer traditionell männerdominierten Industrie. Geleitet wird das Werk von Anne-Catherine Basset, die seit 1998 für die Renault Group arbeitet.
Neuer Antrieb, gemeinsame Produktionslinie
Die derzeit wohl bedeutendste Veränderung in Dieppe betrifft die Integration der vollelektrischen Alpine A390 auf derselben Montagelinie wie die bewährte Verbrenner-Ikone A110. Während das Werk bislang fast ausschließlich Kleinserien und Sondermodelle fertigte, bedeutet die Einführung der A390 den Eintritt in eine neue Ära, technologisch wie produktionstechnisch. Die Herausforderung: Zwei grundverschiedene Fahrzeugarchitekturen müssen auf einem gemeinsamen Band montiert werden. Die Lösung ist ein flexibler, modularer Produktionsansatz mit gezielten Automatisierungspunkten.
Trotz potenzieller Kapazitäten von bis zu 50 Autos pro Tag wird aktuell bewusst mit einer Stückzahl von elf gearbeitet. Der Fokus liegt auf Prozesssicherheit, Qualität und der Einarbeitung neuer Standards, insbesondere im Hinblick auf die neue hochkomplexe Elektronikarchitektur der A390.
Low Automation, High Precision
Während andere Werke wie das Renault-Werk Douai – dort wird die Alpine A290 parallel zum Schwestermodell Renault 5 gefertigt – auf einen hohen Automatisierungsgrad setzen, verfolgt Dieppe bewusst einen semi-automatisierten Ansatz. Viele Arbeitsschritte erfolgen in Handarbeit – und das nicht aus Nostalgie, sondern weil Flexibilität, Individualisierung und Qualitätssicherung auf diese Weise deutlich einfacher gewährleistet werden können. Dies gilt insbesondere für Sonderlackierungen, Innenraumausstattungen und Kleinserien.
Vanessa Lisa Oelmann
Ein gutes Beispiel ist der Lackierprozess. Das sogenannte Low-Bake-Verfahren ermöglicht die Härtung des Lacks bei lediglich 90 °C. Das schont Materialien, erhöht die Farbtreue und ermöglicht eine präzise Integration von Kunststoffkomponenten. Die Werkshallen beherbergen Schleifroboter zur Entfernung kleinster Oberflächenfehler sowie Wischroboter, die den finalen Hochglanz sicherstellen.
Doch nicht alle Arbeitsschritte werden den Robotern überlassen: Bei den sogenannten Legacy Colors werden Teile des Interieurs weiterhin ausschließlich von Hand lackiert. Der Grund: Hier handelt es sich laut Alpine um absolute Präzisionsarbeit, die in ihrer Qualität maschinell kaum zu übertreffen sei. Eine besondere Herausforderung stellen übrigens matte Lackierungen dar, da diese keinerlei Toleranz für Nachbesserungen bieten – „one shot only“, wie es die französischen Lackierprofis auf meine Frage hin lachend formulieren.
Mensch und Maschine als Partner
Die Arbeitsplätze in Dieppe wurden in den letzten Jahren umfassend modernisiert. Neue Förderbänder verbessern sowohl die Ergonomie als auch die Sicherheit der Beschäftigten. Unterstützungssysteme, etwa zur Installation schwerer Bauteile wie des Armaturenbretts, helfen, körperliche Belastung zu verringern. Jeder Mitarbeitende ist einer Führungskraft zugeordnet, Sicherheitshinweise oder Verbesserungsmeldungen werden per Tablet dokumentiert.
Das Herzstück der Qualitätssicherung bilden die sogenannten Checkmen. Ausgestattet mit feinsten Seidenhandschuhen prüfen sie sämtliche Autos mit einem Mix visueller, taktiler und auditiver Kontrollmechanismen. Dabei geht es nicht nur um technische Fehler, sondern auch um das berühmte Look and Feel, das laut Alpine „den Unterschied zwischen gut und außergewöhnlich“ macht. Es gibt vier zentrale Prüfstationen mit insgesamt 90 Kontrollpunkten – für jedes Auto werden rund 38 Minuten Prüfzeit aufgewendet.
Vanessa Lisa Oelmann
Ein zentrales Thema in Dieppe ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Endkontrolle. Sechs KI-gestützte Kameras überwachen 50 zusätzliche Prüfpunkte. Dabei geht es keineswegs um die Verdrängung menschlicher Fachkräfte, vielmehr ergänzen sich Mensch und Maschine. Während die Checkmen weiterhin die finalen Bewertungen treffen, unterstützt die KI vor allem bei Fahrzeugen mit komplexer Ausstattung oder hoher Individualisierung. Sie erkennt unvollständige Montageschritte, prüft die Diversität der verbauten Komponenten und hilft, die Gesamtqualität systematisch zu sichern.
Testen, bis alles passt
Nach der Endmontage folgen mehrere Validierungsphasen. Zunächst durchläuft jedes Auto eine statische Endkontrolle, anschließend erfolgt eine dynamische Qualitätsprüfung auf einer werkseigenen Kurzstrecke. Besonderheit beim A390: Aufgrund seiner hochentwickelten Fahrassistenzsysteme wird das Fahrzeug zusätzlich auf einer dedizierten ADAS-Testbank geprüft. Abschließend geht es in das sogenannte Premium Testing Building, in dem unter anderem Dichtigkeitsprüfungen durchgeführt werden. Letzte Makel werden hier korrigiert, bevor die Autos die nordfranzösische Küstenstadt verlassen und an die Kunden ausgeliefert werden.
Die Alpine-Manufaktur in Dieppe zeigt exemplarisch, wie moderne Automobilproduktion im Zeitalter der Digitalisierung auch anders funktionieren kann: Nicht notwendigerweise durch vollständige Automatisierung, sondern durch ein intelligentes Zusammenspiel aus Mensch, Maschine und Methode. Mit dem Start der A390-Produktion wurde die Grundlage für die Zukunft gelegt, ohne dabei die Werte der Vergangenheit aufzugeben. In den kommenden Monaten wird die Produktion der vollelektrischen A390 hochgefahren – bleibt nur noch abzuwarten, wie hoch die Akzeptanz der traditionsbewussten Kundschaft gegenüber dem neuen Modell ausfallen wird.
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